Die schnelle Rosmarie
Die schnelle Rosmarie
Als mir Sam Whittingham, der für das kanadische Team Varna fährt, anbot im Rahmen des Schwalbe Speedbike Cup 2004 in Deutschland in der Varna zu fahren, musste ich nicht lange überlegen. Ferien hatte ich auch gerade und so reisten Heinz, mein Lebens-Partner, und ich am Freitag, den 30. Juli 2004, nach Deutschland. Noch am selben Tag sah ich zum ersten Mal die Varna. Als ich sah, wie klein das Fahrzeug in Wirklichkeit war, erschrak ich schon ein bisschen. Auf Fotos machte mir das Gefährt einen grösseren Eindruck. Das erste Probesitzen begann.
Obwohl es in der Varna nicht so bequem war wie auf meinem Birk Comet, passte ich nicht schlecht hinein. Die ersten Fahrversuche machte ich am Samstagmorgen. Um die Varna bei einem allfälligen Sturz zu schützen, klebte Sam Luftpolster aus Plastik an die Seiten des Unterteils des Gefährts. Schliesslich wollte er ja am Abend einen neuen Rekord fahren.
Das Anfahren war schwierig. Erstens wegen dem grossen Gang und zweitens hatte die Varna keinen Lenkeinschlag. Bei Sam hatte es so leicht ausgeschaut, als er abfuhr. Georgi Georgiev (Erbauer der Varna) schob mich fest an und so konnte ich zwei Runden ohne Haube fahren. Als nächste Schwierigkeit stand das Fahren mit Haube an. Zuerst schaute ich nur in den Himmel statt auf die Strasse. Also brauchte ich ein dickeres Sitzpolster. Ellen war sehr hilfsbereit und offerierte mir Sitzauflagen in jeder Dicke. So war das Problem schnell behoben und ich fuhr nochmals eine Runde mit Haube. Ich war froh, zwei Runden ohne Sturz absolviert zu haben. Dann war die Zeit auch schon um und wir gingen ins Hotel zum Frühstück.
Tagsüber hatte es zuviel Wind und es war zu heiss, um einen Rekord zu fahren. So verbrachten wir den Samstagnachmittag im Hotel. Gegen 17 Uhr schliesslich gingen wir dann alle wieder auf die Bahn. Sam wollte heute Abend einen neuen Weltrekord fahren. Ich war natürlich sehr gespannt, wie er sich vorbereitete. Schliesslich wollte ich ja im selben Fahrzeug auch einen Rekord zu fahren versuchen. Als erster ging Hans Wessels auf die Bahn und versuchte, einen neuen Rekord aufzustellen. Weil es aber immer noch zu heiss war, musste er den Versuch nach einer halben Stunde abbrechen. Hans machte einen ziemlich erschöpften Ausdruck, was mein Selbstvertrauen für mein eigenes Vorhaben nicht gerade stärkte.
Zwei Stunden später, um 19 00 Uhr, war Sam an der Reihe. Er fing gut an und fuhr regelmässig seine Runden. Nach einer Stunde hatte er seinen eigenen Rekord auf 84,2km verbessert. Nun versuchte es auch noch Lars Teutenberg. Er brach sein Unterfangen aber nach einiger Zeit wieder ab. Gemeinsam gingen wir zurück ins Hotel. In Sams Zimmer stieg die Feier. Bevor ich mich aber dazu gesellte, wollte ich noch zu Abend essen.
Sonntag früh gingen wir bereits wieder vor dem Frühstück auf die Bahn. Ellen startete ihren Rekordversuch, brach ihn aber nach einer halben Stunde ab. Anhand der Daten Ihrer SRM- Kurbel glaubte sie, ihren Rekord nicht verbessern zu können, was sich später jedoch als Fehler herausstellte. Da die Bahn nun für einige Zeit frei war, hatte ich wieder Gelegenheit zum Üben, dieses Mal mit der richtigen Verschalung, die etwas kleiner war. Meine Schuhe berührten sogar die Haube. Nachdem ich aber etwas an den Schuhplatten geschraubt hatte, war das Problem behoben. Nun war es Zeit, versuchsweise mal auf die Bahn zu gehen. Für den Start benötigte ich zwei Versuche. Beim ersten Mal fiel ich auf die rechte Seite, dann aber fuhr ich vier Runden und fühlte mich gut. Länger üben wollte ich nicht, sondern einfach am Abend, wenn es kühler ist, schauen, wie weit ich kommen würde.
Den Nachmittag verbrachte ich im Hotelzimmer, wo ich mich mit Lesen und Fernsehen ablenken wollte, was mir aber nicht wirklich gelang. Meine Nervosität war enorm. Ich zweifelte an mir und fragte mich, ob das, was ich machte, richtig sei. Eigentlich war ich nur hierher gekommen, um mal im schnellsten Fahrzeug zu sitzen. Von Rekordversuch war keine Rede gewesen. Dann aber dachte ich wieder, dass dies eine einmalige Chance sei, die ich packen musste, da sie sonst vielleicht nie mehr kommen würde. Heinz musste sich Vieles von mir anhören... Er ermutigte mich und unterstützte mich mental. Dann endlich ging es ab auf die Bahn. Das WhiteHawk Team machte noch Tests auf ihrem Fahrzeug und Ellen und ich fuhren uns ein.
Die Tageszeit war nun ideal für einen Versuch. Ellen und ich fuhren zur selben Zeit, aber mit zwei Minuten Abstand. Trotz Nervosität kam ich ohne Sturz vom Start weg, hörte aber unmittelbar danach ein Geräusch, das am Morgen noch nicht da gewesen war. Ich schrieb das meiner Nervosität zu und fuhr einige Runden über 70 km/h. Plötzlich aber verspürte ich ein Geholper und ich war mir sicher, einen Plattfuss eingefahren zu haben. Ich fuhr von der Bahn und Heinz und Sam fingen mich auf. Sie waren hinter mir mit dem Auto mitgefahren. Sie schauten sich das Fahrzeug an, konnten aber keinen Schaden feststellen. Vielleicht war alles nur Einbildung?
Also Neustart: wieder einsteigen, Haube darauf und mit Klebeband verschliessen, Ellen vorbei fahren lassen, zwei Minuten warten und starten. Dieses Mal schaffte ich es nicht auf Anhieb und fiel auf die linke Seite. Ich lag da wie ein Käfer auf dem Rücken. Sam und Heinz stellten mich wieder auf und ich wusste, dass ich jetzt nur noch eine Chance hatte. Wenn es dieses Mal nicht klappte, war es vorbei.
Nochmals warten bis Ellen vorbei ist, zwei Minuten Abstand und los. Der Start glückte. "Geschafft", dachte ich mir. Dann aber stellte ich fest, dass mir beim Aussteigen die Hosen hochgerutscht waren und mich das Vorderrad an den Oberschenkeln zwickte. Ich wusste nicht, ob ich es wagen konnte, den Lenker loszulassen. Ganz vorsichtig probierte ich es und - oh Wunder - es funktionierte. Ich konnte die Hosen richten. Nun stand mir nichts mehr im Wege, so schnell wie möglich zu fahren. Weil ich nur sah, wie schnell ich fuhr, die Zeit aber nicht kannte, versuchte ich, die Runden zu zählen, was mir einigermassen gelang. Auf einmal sah ich Ellen vor mir. Ich überholte sie, wusste aber nicht, wann ich wieder hineinziehen konnte, weil ich nach hinten nichts sehen konnte. Erst als ich sah, dass ich 78 km/h auf dem Tacho hatte, getraute ich mich wieder, auf der Ideallinie zu fahren. Als Nächstes versuchte ich etwas zu trinken. Ich wurde zwei Stundenkilometer langsamer: Trinken kam also auch nicht mehr in Frage. Dann endlich war die Stunde vorbei und ich wurde abgewinkt. Ich war froh, eine Stunde durchgehalten zu haben. Als das Klebeband endlich weg war und sie mich von der Haube befreien konnten, kamen schon die ersten Gratulationen. Ich war glücklich: Mit 73,4 km hatte ich einen neuen Stundenweltrekord der Frauen gefahren. Ellen hatte ihren Rekord auf 68,9 km verbessert.
Dieser Erfolg war nur möglich dank Georgiev und Sam, die mich eingeladen hatten, dank Heinz, der mich rundum gut betreute und natürlich dank dem deutschen und holländischen WhiteHawk Team sowie den IHPVA Beobachtern Martin Staubach und Hans Wessels und dank Guido Mertens, der alles organisiert und ermöglicht hatte, dass wir auf der Opel Strecke fahren konnten. Wir liessen den Abend bei einem Glas Sekt ausklingen und kehrten erst am nächsten Tag zurück in die Schweiz.
Rosmarie Bühler, August 2004
vorherige Erfolge
1994 Erstes Liegeradrennen EM in Laupen
1996-2004 Schweizermeisterin
1999-2004 Weltmeisterin und Europameisterin über Langdistanz
1998 Erster Weltrekord über 1Std 55,4 Km in Oerlikon offene Rennbahn
1999 Weltrekord auf der Schiene in Laupen 200 m Sprint
2004 Stundenweltrekord in Deutschland Opelteststrecke 73,4 Km schnellste Frau der Welt mit eigener Kraft,im schnellsten Fahrzeug der Welt.