24-Stunden-Rennen Schötz 2002

3., 4. August

Dass ich jemals 24 Stunden sozusagen aneinander Liegerad fahren würde, hätte ich mir, als ich vorletztes Jahr dieses Rennen als Zuschauer besuchte, nicht vorstellen können. Wieso ich es doch tat und unter welchen Umständen ich die 929 km zurücklegte, weshalb "Normalrennradfahrer" noch weiter kamen und wie es für Sabine war, siehe unten auf dieser Seite...
 

 

Vielen Dank an:

  • Sarah Bollina, dass sie ihre Eltern überzeugte an der Rennstrecke im Zelt zu übernachten,
  • Dagmar, dass sie darauf einging,
  • Sandro für sein Coaching und die blitzartige Pneureparatur,
  • Edgar für das H2O-feste Kettenöl und das Ausleihen seiner Vorderrad-Schnellspannvorrichtung,
  • Sabine für die durchgewachte Nacht, die liebevolle Boxenbetreuung mit permanentem Verpflegungsstand und die akkustische Unterstützung.

...ohne ihre Hilfe wäre ich nie so weit gekommen! (ch)

Die 24 Stunden von Schötz: niemals! ...

Als ich vor zwei Jahren bei strömendem Regen auf dem 10.23 km langen Kurs von Schötz den über hundert Rennvelofahrern und den paar Liegeradfahrern zusah, die scheinbar unverdrossen ihre Runden drehten, wusste ich genau: sowas werde ich nie machen!
Jetzt, 2 Jahre später, am 2. August kurz vor vier nachmittags stehe ich neben dem russischen Seriensieger Serguei Dachevski in seinem vollverschalten ultraflachen Liegerad und warte auf den Startschuss. Serguei wird versuchen, den Streckenrekord des Deutschen Thomas Klein aus dem Jahre 1996 von 859 km zu verbessern, wir anderen 4 Liegeradler werden uns wohl darauf beschränken müssen, nicht allzu weit abzufallen.

Und ab geht die Post...und wie

Nach dem Startschuss setzt sich das Feld, die Mannschaften und die Einzelfahrer auf ihren Rennvelos mit Triathlonlenkeraufsätzen vor uns „Liegenden“ träge in Bewegung. Nach der zweiten Runde und einem Zwischenspurt habe ich den Anschluss zur ca. 20-köpfigen Spitzengruppe dann geschafft. Ich lasse nicht locker und versuche mich immer wieder in möglichst geringem Abstand hinter der Gruppe einzureihen, um wie alle andern vom gegenseitigen Windschatten zu profitieren. Eine Stunde ist nun gefahren; ein Blick auf meinen Velocomputer verrät mir Erschreckendes: 45 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Im Moment geht es noch leicht bergauf (mit ca. 38), dann eine scharfe Kurve. Im Gegensatz zur Start-Ziel-Kurve muss ich hier nicht voll spurten, um gleich den Anschluss wieder zu schaffen. Ich werde sie mit wenig Krafteinsatz in der einprozentigen Abfahrt bald wieder einholen und dann die Beine etwas hängen lassen.

Stranger in the night

Es ist jetzt Mitternacht, das erste Drittel das Rennens ist absolviert, Zeit sich von der Spitzengruppe für den zweiten Boxenstop zu verabschieden. Ca. 14 Minuten bleiben mir für Toilette, Nachtessen (es gibt wieder einmal Spaghetti), derweil Sabine, meine Freundin, den Camelback auffüllt und mich mit Power Bars und wichtigen Informationen zum Rennen versorgt: Serguei ist bloss eine Runde voraus, die Fahrt ist für ihn bei Regen und Dunkelheit besonders ermüdend, da er durch eine kleine Scheibe sehen muss. Trotz starkem Regen verzichte ich auf meine Brille und fahre ohne Regenschutz in einem Wolltrikot, das ich direkt auf der Haut trage, Goretex-Unterwäsche unter den kurzen Tights schützen mich vor Unterkühlung.
Entlang der Strecke haben sich in den zahlreichen Beizen und Baren hunderte von Leuten eingefunden, die uns zujubeln. Der Regen scheint nachzulassen und ich habe nun Zeit, meinen eigenen Gedanken nachzugehen. Die Frage, weshalb ich diese Strapazen auf mich nehme, stellt sich mir gar nicht mehr: Ich bin nicht müde, mich schmerzt nichts und ich kann mich ganz dem Fahrrythmus hingeben.

Ein jähes Erwachen

Dank meiner Liegeposition merke ich als erster, dass sich der Himmel östlich von uns ganz leicht aufhellt. Mein aufrechter Nebenmann, ein Fahrer, der zusammen mit anderen einen schnellen Einzelfahrer im Pulk versorgt ist so glücklich darüber, dass er mich gleich zu einem fliegenden Morgenessen einlädt: Kägifrett mit Isostar.
Kurz nach sechs Uhr und 580 gefahrenen Kilometern merke ich in der Abfahrt kurz vor dem Dorf, dass ich Mühe habe mein Birk Comet zu kontrollieren. Es gelingt mir noch einige Meter zu rollen, doch dann muss ich den letzten Kilometer auf meinen Rennschuhen zur Boxe zurückgehen. Zum Glück repariert Kollege Sandro, der das Rennen schon früher aufgeben musste, den „Platten“, während ich einen Liter Birchermüesli herunterschlinge. Sabine massiert mir meine schmerzenden Füsse. Sie beide sind sicher, dass ich es schaffen werde...

Pokerface ist angesagt

Als ich mich eine halbe Stunde später wieder dem Feld anschliesse, naht Serguei Dachevski von hinten in seiner typischen, leicht schlingernden Art. Wir befinden uns nun exakt in derselben Runde und fahren auch die nächste Zeit zusammen. Ich kenne den freundlichen Russen seit der WM 1999 in Interlaken . Er ist ein sehr ausdauernder Fahrer mit enorm viel Rennerfahrung. Beim Stundenrennen auf der 250 Meter Holzbahn in Gent (WM 2000) sah er mir eine Schwäche an und überholte mich auf der drittletzten Runde... für mich blieb Platz 4. Der Entschluss, weniger zu trinken und dabei möglichst locker auszusehen verfehlt seine Wirkung nicht. Nach 2 Stunden muss er eine grössere Pause einlegen, während der ich Runde um Runde buche.

Ich kann’s nicht glauben

Bei der Zieldurchfahrt um ca. 14:00 verkündet der Speaker dem Publikum, dass soeben der Streckenrekord für Liegeräder von 859 km gebrochen wurde. Unter den Anfeuerungsrufen von Hunderten sprinte ich nach der Kurve los. Sowas habe ich noch nie erlebt!
In den zwei restlichen Stunden, verliere ich unter dem Tempodiktat der Teams, welche um den Tagessieg kämpfen, den Anschluss und drehe alleine meine Runden. Dann ist es geschafft: 929 km sind es schliesslich -einmal Bern-Barcelona. (ohne Berge versteht’s sich).

Die Bilanz

  • Never say never
  • Das Birk Comet ist das Rennliegerad für grosse Distanzen
  • Für zukünftige Rekordfahrten ist eine Bordtoilette vorzusehen
  • Raceday Kettenschmiermittel ist eine gute Alternative zu Kettenöl bei Regen.
  • Mein jährliches Kilometerkonto ist um ein Viertel angewachsen.
  • 500g Spaghetti, 1kg Birchermüesli, 12 Power-Bar, 8 Ballisto, 2 Käsebrötli, 2 Fläschchen Top-Ten und eine Tube „Liquid Energy“ konnten den Kalorienbedarf von 14000 Kalorien nicht annähernd decken.
  • Anmerkung der Betreuung: BetreuerInnen brauchen unbedingt selbst eine Betreuung, damit sie in der Nacht wach bleiben.